Trageerschöpfung Pferd – häufiges Problem mit vielfältigen Ursachen & Symptomen

Ein häufiges Problem der Reitpferde ist die Trageerschöpfung. Ca. 60% meiner Kundenpferde sind davon betroffen. In den meisten Fällen wissen die Besitzer allerdings gar nicht, dass ihr Pferd Symptome einer Trageerschöpfung zeigt. Oft höre ich zum Beispiel, dass das Pferd triebig sei oder eine „Beule“ auf dem Rücken hätte.

Was verstehen wir unter einer Trageerschöpfung?

Die Ursachen der Trageerschöpfung sind vielfältig, dazu später mehr. Grundsätzlich entsteht die Trageerschöpfung folgendermaßen:

Aus verschiedenen Gründen, z.B. durch unsachgemäßes Reiten, einen unpassenden Sattel, schwere Fohlen etc. verspannt der Rücken des Pferdes. Das Pferd weicht dem unangenehmen Druck aus, indem es den Rücken wegdrückt.

Damit gehen der Takt, die Losgelassenheit und die Anlehnung verloren. Der Pferderücken kann nicht mehr schwingen und der Reiter kann das Pferd schlechter sitzen. Solche Stöße in den verspannten Rücken führen zur Trageerschöpfung.

Fehlspannungen in der Rückenmuskulatur führen häufig zu Blockaden in den Wirbelgelenken und dem Kreuzdarmbeingelenk. Diese Blockaden und Fehlspannungen können auch durch Stürze oder Vertreten auf unebenem Boden entstehen.

Auch in diesem Fall drückt das Pferd den Rücken weg und es kann zur Trageerschöpfung kommen.

Pferde, die aus dem Trog und aus hoch hängenden Heunetzen fressen, neigen ebenso zu Fehlspannungen in der Oberlinie.

Auch Leittiere, die auf die Herde aufpassen und daher den Kopf häufig aufgerichtet tragen, verspannen im Rücken und neigen zur Trageerschöpfung.

Wie erkennt man eine Trageerschöpfung beim Pferd?

Kurz gesagt: Es gibt zahlreiche Symptome der Trageerschöpfung. Leicht zu erkennen sind der durchhängende Rücken und der abgesackte Brustkorb. Es gibt aber viele weitere Symptome, die auf den ersten Blick nicht unbedingt der Trageerschöpfung zugeordnet werden.

Typische Symptome der Trageerschöpfung

Leicht zu erkennen ist die Trageerschöpfung an folgenden Anzeichen:

  • Der Rücken hängt durch – das Pferd hat einen sogenannten Senkrücken
  • Der Brustkorb ist abgesackt – der Widerrist steht hervor. Durch den abgesackten Brustkorb bilden sich Kuhlen im vorderen Sattelbereich und vor dem Widerrist kommt es zu einer Einkerbung. Die Muskulatur der Oberlinie baut in diesem Bereich ab, wodurch die darüberliegenden, flachen Trapezmuskeln zusammenfallen wie ein eingeklappter Regenschirm. Hebt das Pferd den Brustkorb wieder an, senkt es automatisch den Hals ab. Durch diese Bewegung treten auch die oberen Hals- und Rückenmuskeln wieder hervor. Die Kuhle in der vorderen Sattellage ist wieder aufgefüllt, der Widerrist wirkt nicht mehr so knochig und der Trapezmuskel spannt sich wieder auf.
Trageerschöpfung Pferd Regenschirm
Trageerschöpfung Pferd aufgespannt

Meist unerkannte Symptome einer Trageerschöpfung

Aber auch diese Anzeichen deuten auf eine Trageerschöpfung:

  • Das Pferd ist triebig – Das Pferd zeigt so gar keinen Vorwärtsdrang und lässt sich hinterher ziehen. Jeder Schritt bereitet Unbehagen.
  • Das Pferd ist unwillig beim Satteln – Schon wenn der Reiter mit dem Sattel kommt, zickt das Pferd herum. Es erwartet erneut Schmerzen durch einen unpassenden Sattel und das Reitergewicht. Auch das Gurten bereitet Unbehagen. Zum Verständnis: Die Vordergliedmaße des Pferdes sind nur durch die Schultergürtelmuskulatur mit dem Rumpf verbunden. Der Brustkorb hängt also in einer Muskelschlinge, zu der auch die Brustmuskeln gehören. Ein abgesenkter Brustkorb führt zu vermehrter Spannung auf diese Strukturen
  • Die Muskulatur des Unterhalses ist stärker ausgeprägt als die des Oberhalses – Durch den abgesackten Rücken hebt das Pferd automatisch Hals und Kopf an. Durch diese Fehlhaltung bildet sich ein kräftiger Unterhals und die Oberhalsmuskulatur baut ab
    Vor dem Widerrist ist der sogenannte Axthieb zu sehen – Eine Folge des kräftigen Unterhalses und der Fehlhaltung. Es sieht so aus, als hätte man mit der Axt einen Keil aus dem Hals vor dem Widerrist geschlagen.
Trageerschöpfung Axthieb Pferd
  • Muskelabbau im Bereich des Widerristes – durch den weggedrückten Rücken baut die Hals- und Rückenmuskulatur im Widerristbereich ab, es bilden sich Kuhlen im vorderen Sattelbereich hinter den Schulterblättern, der Widerrist steht stark hervor
  • Das Pferd hustet zu Beginn der Trainingseinheit – Drückt das Pferd den Rücken durch, wird Brustkorb und das Brustbein in seiner Lage verändert. Die vordere Spitze des Brustbeins wird leicht angehoben und das hintere Ende senkt sich ab. Dadurch kommt vermehrt Spannung auf die untere Halslinie, den Atemmuskel, die Lunge und das Herz. Durch die Bewegung lösen diese verspannten Strukturen dann einen Hustenreiz aus.
  • Das Pferd ist „bauchig“ – Das Pferd hat einen dicken Bauch, aber keine Fetteinlagerungen. Wenn der Rücken durchhängt, öffnen sich die hinteren Rippen, die nicht mit dem Brustbein verbunden sind. Durch das Gewicht der Bauchorgane wölbt sich jetzt der Bauch hervor. Die Bauchorgane werden durch die Bauchdecke und die Bauchmuskeln getragen, sind aber auch über Bindegewebe mit der Wirbelsäule verbunden.
  • Das Pferd steht V-förmig. Die Vorhand steht rückständig und die Hinterhand ist untergeschoben – das passiert, wenn das Pferd den Rücken hängen lässt, weil die Tragkraft erschöpft ist. Die Standfläche wird verkleinert. In dieser Stellung werden die Beugesehnen überdehnt und es entsteht stärkerer Zug auf die Hufrolle. Langfristig kommt es dadurch zu Schäden an den Beugesehnen, dem Fesseltrageapparat und der Hufrolle.
  • Die Trachten der Vorhand sind untergeschoben und die Zehe ist zu lang – durch die rückständige Stellung wird das Fesselgelenk vermehrt gebeugt. Diese Fehlstellung gleicht das Pferd am Ende der Gliedmaßenkette durch untergeschobene Trachten aus.
  • Die Fesselung ist durchtrittig – dies ist die Folge der überdehnten Beugesehnen durch die rückständige Vorhand
  • Anzeichen eines Karpfenrückens – Der Karpfenrücken ist eine Aufwölbung im hinteren Rücken- bzw. im Lendenbereich. Das trageerschöpfte Pferd versucht über die Lendenmuskulatur den Brustkorb anzuheben und das Reitergewicht zu tragen.

Pferde sind Flucht- und Beutetiere. Sie sichern ihr Überleben durch die Flucht. Sind Muskeln verspannt oder Gelenke blockiert, übernehmen andere Muskelketten die Aufgabe der Fortbewegung. Sie können also viele Probleme auch über lange Zeit ausgleichen und sich trotzdem noch fortbewegen. Es wird erst zum Problem, wenn das Reitergewicht dazukommt.

Wieviel Gewicht kann ein Pferd eigentlich tragen?

Eine Frage, über die man in jedem Stall und auf jedem Turnier herrlich streiten/diskutieren kann. Ohne diskriminieren zu wollen: Ein Reitergewicht von 100kg auf einem Pony ist eindeutig zu viel.

Das Pferd ist zunächst nicht dazu geeignet, einen Reiter zu tragen. Es trägt das Reitergewicht nicht mit dem Rückenmuskel. Der lange Rückenmuskel ist ein Bewegungsmuskel, der mit der Vorhand und über den Kruppenmuskel mit der Hinterhand verbunden ist.

Erst durch den Aufbau der Bauch- und Kruppenmuskulatur im Rahmen der soliden Grundausbildung kann das Pferd das Reitergewicht bis zu einem gewissen Maß tragen.

Trageerschöpfung Reitergewicht

Das ideale Reitergewicht

Laut einer britischen Studie aus dem Jahr 2013 liegt das Idealgewicht eines Reiters auf dem Pferderücken bei 10% des Pferdegewichts. Des idealen Pferdegewichts wohlgemerkt, das muss nicht das aktuelle sein. Ein sehr dickes Pferd kann trotzdem nicht mehr tragen, im Gegenteil!

Liegt das Reitergewicht bei 10-15% des Pferdegewichts, fällt es in den Normalberreich, kann aber in einigen Fällen auch schon zu viel sein. Alles, was oberhalb von 15% liegt, gilt laut dieser Studie als gesundheitsgefährdend für das Pferd.

Auch die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz folgert nach Studien, das 15% realistisch und akzeptabel seien. Ab 20% käme es aber bereits zu „merklichen Änderungen vor allem in der Muskulatur der betroffenen Pferde in Form von Verspannungen und Verhärtungen“ (siehe Merkblatt). Gewichtsbelastungen von 25% oder sogar 30% sind als tierschutzwidrig anzusehen.

Es müssen jedoch weitere Faktoren berücksichtigt werden, wie die Größe des Pferdes, der Trainingszustand, die Belastung (Dauer, Tempo), das Alter, aber auch der Knochenbau.

Tragkraft: Verhältnis Röhrbeinumfang zu Körpergewicht

Ein kräftiges Pferd mit einem zarten Röhrbein kann weniger tragen als ein kleinerer Artgenosse mit kräftigen Röhrbeinen.

Gemessen wird der Umfang des Röhrbeins 10 cm unter dem Erbsenbein, das ist ein kleiner, vorstehender Knochen rückseitig des Vorderfußwurzelgelnks. Das Idealverhältnis Röhrbein und Körpergewicht liegt bei Wildpferden bei einem Röhrbeinumfang von 20 – 22 cm und 450 kg Körpergewicht. Das wären 5 cm Röhrbeinumfang pro 100 kg Pferdegewicht. Bei unseren heutigen „Haus“- Pferden sieht es dann schon anders aus, hier liegt das Verhältnis nur noch bei 16,5 – 18,75 cm bei 450kg Körpergewicht, was 3,9cm pro 100kg entspricht.

Moderne Pferde haben zunehmend schmalere Beine im Verhältnis zum Körpergewicht

Leider geht die Zucht in den letzten Jahrzehnten dahin, dass die Pferde immer eleganter werden und raumgreifendere Bewegungen haben. Das alte, schwere Warmblut mit seinen kräftigen Knochen wirkt dagegen plump.

Das geht zu Lasten der Stabilität des heutigen Reitpferdes. Gleichzeitig ist eine gesellschaftliche Entwicklungstendenz zu beobachten, dass die Menschen schwerer und größer werden.

Unsere Pferde werden zunehmen zierlicher und eleganter, die Reiter dagegen plumper und dicker

Gut zu wissen: „Gewichtsträger“ gibt es nicht. Schwere Rassen, vor allem Kaltblüter, können nicht automatisch mehr tragen. Auch hier muss das Verhältnis betrachtet werden. Vor allem muss bei Kaltblütern beachtet werden, dass sie bereits ein hohes Eigengewicht mit sich herumtragen.

Röhrbeinbelastungsindex:

Röhrbeinumfang in cm x 100

———————- = Röhrbeinbelastungsindex (RI)

Körpergewicht in kg

Erstaunlich: Den höchsten RI haben laut der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz: Minishettys (9,5). Am Ende der Liste steht das Süddeutsche Kaltblut (3,0). Übrigens liegen auch Quarter Horses im Schnitt nur bei einem RI von 3,9.

Messt doch einfach mal nach, welches Verhältnis euer Pferd hat. Je schmaler das Röhrbein im Verhältnis zum Gewicht, desto weniger kann es tragen.

Mehr Info (PDF Download): Merkblatt Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (2019)

Kann ein kurzer Rücken mehr tragen als ein langer?

Ein weitverbreiteter Trugschluss ist, dass ein kurzer Rücken mehr Tragkraft aufweise als ein langer Rücken. Ausschlaggebend für die Tragkraft ist die kräftige Bauch- und Kruppenmuskulatur ebenso wie eine starke und lange Schulter. Dieser folgt im Idealfall ein nicht allzu langer, aber gut bemuskelter Rücken, der in die Kruppe übergeht.

Ursachen für eine Trageerschöpfung

  • Die Bauch- und Kruppenmuskulatur ist nicht genug vorbereitet für das Reitergewicht
  • Das Pferd hat Schulterprobleme
  • Das Pferd hat Blockaden im Übergang Lendenwirbelsäule/Kreuzbein oder Brust-/Lendenwirbelsäule und drückt dadurch den Rücken weg
  • Das Pferd hat Blockaden des Kreuzdarmbeingelenks
  • Der Sattel passt nicht oder nicht mehr. Der Pferderücken verändert sich durch Ab- oder Zunahme der Muskulatur
  • Der Reiter ist zu schwer
  • Trächtigkeit, durch das Fohlengewicht hängt der Rücken durch
  • Schlechte Hufstellung, angeboren oder z.B. durch falsche Hufbearbeitung
  • Schlechtes Reiten, z.B.: Das Pferd wird nicht aufgewölbt oder es wird mit unangemessenen Hilfszügeln geritten, der Reiter sitzt nicht geschmeidig und ausbalanciert
  • Haltung/Fütterung: Das Pferd frisst aus einem zu hohen Trog und/oder hoch hängendem Heunetz. Besser ist das Fressen vom Boden


Trageerschöpfung & die Biomechanik der Oberlinie

Die Hinterhand ist der Motor des Pferdes. Für den Antrieb aus der Hinterhand muss das Pferd das Becken abkippen können, um die Hinterhand nach vorne unter den Schwerpunkt zu setzen.

Dabei werden im Idealfall der Brustkorb und der Widerrist etwas angehoben, der Hals wölbt sich leicht in Richtung vorwärts-abwärts auf und die Vorhand schwingt nach vorne.

Ist die Last auf dem Pferderücken zu hoch oder schmerzhaft, drückt es den Rücken weg und hebt den Kopf und den Hals an. In dieser Haltung kann das Becken nicht abkippen (beugen) und die Hinterhand kann nicht untersetzen und steht dadurch steiler. Knie und Sprunggelenk werden weniger gebeugt.

Dies führt zu einer vermehrten Belastung der Beugesehnen, da die Stoßfederung jetzt verstärkt in den Zehengelenken stattfindet. Die Muskulatur des Oberhalses und der Rücken- und Bauchlinie bilden sich zurück. Der Unterhals wird kräftiger und die Vorhand steht rückständig, was zu einer Überlastung der Beugesehnen führen kann und zu einer Veränderung der Hufe (untergeschobenen Trachten). Von der Seite sieht der Pferderücken jetzt wie eine Hängebrücke aus.

Wie einer Trageerschöpfung vorbeugen?

  • Solide Grundausbildung des Pferdes
  • Korrektes Reiten ohne Überlastung
  • Regelmäßig Kontrolle des Sattels
  • Regelmäßige Hufbearbeitung
  • Jährliche Zahnkontrolle, denn Kieferprobleme können zu Verspannungen im unteren Rücken führen
  • Regelmäßige Kontrolle durch Chiropraktik, Osteopathie etc.
  • Passendes Reitergewicht


Was tun, wenn das Pferd Anzeichen der Trageerschöpfung zeigt?

Zeigt das Pferd eins oder mehrere der oben genannten Anzeichen, sollte die Ursache mithilfe von Fachleuten wie Tierarzt, Chiropraktiker, Osteopath, Sattler, Hufschmied gesucht und behoben werden.

Zur Therapie der Trageerschöpfung beim Pferd gehört aber auch unbedingt gezieltes Training für den Aufbau der Bauch- und Kruppenmuskulatur! Wichtig ist das regelmäßige Training. Es bringt nichts, wenn das Pferd einige Tage auf der Koppel steht und dann 2-3 Stunden im Gelände „geschrubbt“ wird. Auch lange Schritt-Ausritte am durchhängenden Zügel sind für untrainierte Pferde Gift!

Übungen bei Trageerschöpfung

Hier einige Übungen, die in das Training eingebaut werden sollten:

  • Reiten im Grundtempo ‑ häufig werden Pferde unter Tempo bewegt. So kippt das Pferd das Becken nicht ab, tritt nicht genug unter den Schwerpunkt und wölbt den Rücken nicht auf
  • Stangen- oder Cavaletti Training auch im Schritt- gerade im Schritt muss das Pferd die Beine exakt anheben und nach vorne führen. Es kann nicht mit Tempo darüber hinweg „huschen“.
  • Bergauf und bergab im Schritt – dies ist eine sehr effektive Übung für die Bauch- und Hinterhandmuskulatur. Häufig versuchen die Pferde sich der Anstrengung über ein höheres Tempo zu entziehen
  • Klettern, z.B. über Baumstämme – das hohe Anheben und Vorsetzen der Beine kräftigt die Bauchmuskulatur und kann gut im Gelände in das Training eingebaut werden.
  • Häufiges Angaloppieren – kräftigt die Hinterhand und kann für kurze Reprisen in das Training eingebaut werden
  • Tempiwechsel – vom Schritt zum Trab oder vom Trab zum Galopp aber auch vom Schritt zum Galopp und umgekehrt. Ebenso wichtig sind Tempiwechsel innerhalb der Gangart
  • Seitengänge – lockern den Lendenbereich und fördern die Balance

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